Die alte Garage des «Offenen Hauses für Strassenkinder» in Hermannstadt wurde mithilfe von Spenden unseres Vereins umgebaut und wird nun als multifunktionaler Gruppen- und Therapieraum genutzt. Seit 2022 finden darin auch Tanzstunden statt. Wir haben den Tanzlehrer Adrian Bercea zu einem Interview getroffen und mit ihm über seine Karriere als Tänzer gesprochen und darüber, was er den Kinder des «Offenen Hauses» durch das Tanzen mit auf ihren Lebensweg geben möchte.
Interview mit Adrian Bercea, Tanzlehrer im «Offenen Haus»
Wie bist du Tänzer geworden?
Mein Traum, Tänzer zu werden, entstand schon, als ich noch in die Primarschule ging. Als Kind weiss man zwar noch nicht genau, was gut ist und was nicht. Doch ich wurde von meinem damaligen Lehrer inspiriert, da war ich 10 Jahre alt. Ich nahm Ballettunterricht, was als Junge ziemlich schwierig war. Als ich einmal ins Opernhaus gehen durfte, wusste ich: das ist mein Traum, das will ich machen, dafür werde ich kämpfen und alles geben. Dann habe ich mich voll und ganz auf dem Tanz fokussiert, alle anderen Sachen waren mir völlig unwichtig. Ich hatte zwei drei Lehrer, die sehr gut waren, und mit ihnen habe ich meine Leidenschaft entdeckt. Sie haben mich inspiriert, weiterzumachen und mir das «Licht am Ende des Tunnels» gezeigt. Als ich 14 Jahr alt war, wusste ich, dass ich auf die Bühne wollte. Ich wollte nicht in der hinteren Reihe stehen, das wäre nichts für mich. Entweder vorne oder gar nichts. Ich habe Vollgas gegeben, von morgens um sieben bis abends um zehn. Ich bin immer todmüde zur Schule gegangen. Gottseidank haben sie mich verstanden, dass ich für meinen Traum gearbeitet hatte.
Und dann wurdest du entdeckt?
Ich habe an Wettbewerben teilgenommen und genoss zunehmend das Rampenlicht. Ich bin, das kann man sagen, «abgegangen wie eine Rakete». Als ich einen Preis an einem Wettbewerb gewann, hat mich eine berühmte Primaballerina aus Deutschland, Birgit Keil, entdeckt. Sie hatte mir und einem zweiten Jungen als Rumänien ein Stipendium an einer Deutschen Ballettschule ermöglicht. So habe ich mit 17 Jahren Rumänien verlassen, allein, ohne Eltern. So kam ich nach Mannheim. Das war ein Sprung ins kalte Wasser! Ich konnte kein Deutsch, nur ein bisschen Englisch, und der Ballettunterricht war in Französisch. Also drei Sprachen, die ich nicht richtig konnte. Doch ich habe weitergekämpft, habe wieder an Wettbewerben teilgenommen. Meine Lehrerinnen und Lehrer waren für mich Genies! Nach meiner Zeit in Mannheim und Stuttgart wurde ich als Solotänzer nach Salzburg engagiert und spielte dort mehrere Jahre verschiedene Rollen. Das war eine wunderbare Zeit.
Und die Zeit nach der Solo-Karriere?
Nachdem meiner Karriere als Solotänzer wurde ich Inspizient am Theater Salzburg. Der Inspizient ist die Verbindung zwischen Künstler:innen und Technik. Er arbeitet also hinter der Bühne. So war ich nicht mehr im Rampenlicht, für mich eine grosse Veränderung war. Ich merkte, dass mir das nicht mehr gefiel. Und so haben meine Frau ich uns entschlossen, dass wir eine Familie gründen und mit den beiden Kindern zurück nach Rumänien ziehen. Ich wollte etwas anderes machen, doch mein Problem war, dass ich in meinem Leben alles auf die Karte «Tanzen» gesetzt hatte. Alles andere, sprich eine breitere Ausbildung, habe ich vernachlässigt. So landete ich nach der Karriere auf der Strasse mit relativ wenig Kenntnissen. Doch ich habe auch da wieder meinen Weg gefunden. Neben der Arbeit als Tanzlehrer führe ich heute zusammen mit meiner Frau ein kleines Gasthaus in der Nähe von Sibiu. Weil es mir heute so gut geht, habe ich auch viel Energie, anderen Menschen zu helfen. Kinder sind mir besonders wichtig.
Was möchtest du den Kindern im Offenen Haus mitgeben?
Ich möchte sie auf der einen Seite ermutigen, offen zu sein für alles, was ihnen im Unterricht geboten wird, und demgegenüber Respekt zu haben. Auf der anderen Seite sollen sie aber auch Träume haben dürfen. Sie können alles schaffen, wenn sie konsequent sind und wenn sie begeistert sind von dem, was sie machen. Ich möchte für sie ein Vorbild sein, dass sie vielleicht einmal sagen können, «so wie Adi möchte ich auch werden». Genau das hatte ich damals bei meinen eigenen Lehrern auch erlebt. Ich hatte es geschafft, und ich lege es ihnen ans Herzen, dass sie es auch schaffen können. Sie müssen nur daran glauben und dafür arbeiten.
Wie wichtig bist du als Person für sie?
Weil wir hier im Offenen Haus spezielle Kinder aus sehr schwierigen sozialen Verhältnissen haben, ist es umso wichtiger, dass sie andere Vorbilder bekommen. Ich möchte ihnen durch das Tanzen auch Freude geben, denn sie leben schon etwas in einer dunklen Wolke, wenn man dem so sagen darf. Ich habe die Kinder mal gefragt «was wünschst du dir»? Dann kamen verschiedene Wünsche. Doch als ich sie fragte, was sie dafür tun würden, war die Antwort in der Regel «nix». Aber von nichts kommt nichts! Du musst es tun, nur dann schaffst du es. Ich gebe ihnen in den Tanzstunden gute Gefühle. Sie sollen wissen, dass es immer Luft nach oben gibt, auch wenn es wegen der Lebensumstände vielleicht schwierig ist.
Wie konkret profitieren die Kinder vom Tanzen?
Am Anfang waren die Kinder körperlich sehr verschlossen. Wenn der Körper verschlossen ist, kann er auch keine Energie entwickeln. Nur schon wenn man gerade steht, hat der Körper eine andere Energie, ist man eine andere Persönlichkeit. Daran mussten wir am Anfang viel arbeiten. Inzwischen hat sich das bei einigen Kindern deutlich verbessert. Auch ihr Selbstvertrauen und ihr Selbstbewusstsein. Sehr wichtig ist auch die Disziplin. Wenn sie im Tanzunterricht lernen, diszipliniert zu arbeiten, hilft es ihnen auch in allen anderen Bereichen, wo Disziplin verlangt wird. Dazu kommt die Kraft. In einem schwachen Körper ist es schwer, sich zu entwickeln. Aber ganz wichtig ist es, dass mich die Kinder mögen und dass sie sich auf den Tanzunterricht freuen. Allgemein haben sie alle grossen Fortschritte gemacht. Wir hatten zum Beispiel Kinder, die konnten sehr schlecht sprechen. Mit dem gestärkten Selbstbewusstsein durch den Tanz hat sich auch die Sprache verbessert.
Welches sind deine Wünsche und Ziele?
Ich wünsche mir, dass noch mehr Kinder zum Unterricht kommen, und zwar regelmässig. Wenn jemand nur einmal pro Monat kommt, ist es schade. Die Kinder sollen in erster Linie Freude und Spass haben, die Tanzschritte und -technik ist mir gar nicht so wichtig. Niemand ist perfekt! Ich finde es schade, wenn sich Kinder selbst im Weg stehen und sie sich nicht entwickeln. Aber vielleicht brauchen einige Kinder einfach mehr Zeit, um sich an etwas Neues wie das Tanzen zu wagen. Darum wünsche ich mir, dass ich noch möglichst lange mit ihnen arbeiten darf, nicht zuletzt dank der Hilfe der Spenderinnen und Spender aus der Schweiz.
Adrian Bercea, Tanzlehrer im «Offenen Haus»